Sven Schoeller
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Liebe Mitglieder der Aktionsgruppe, liebe Nachbarn, 

vielen Dank für die Fragen zu dem enorm wichtigen Thema der Stadtteilentwicklung in unserer Stadt. Ich möchte besonders positiv hervorheben, dass die Aktionsgruppe - obgleich in Kirchditmold verwurzelt und natürlich insbesondere mit den dortigen Themen befasst- die Fragestellungen aus dem einzelnen Stadtteil herausskaliert hat und um eine allgemeine Beantwortung gebeten hat.

Denn das Thema der Stadtteilentwicklung ist in der Tat umfassend anzugehen. Ausgangspunkt für die Entwicklungen der letzten Dekaden ist ein aus heutiger Sicht infrage zu stellender und letztlich zu revidierender Ansatz der gesamtstädtischen Entwicklung. Man hat in der Vergangenheit, übrigens nicht nur in Kassel, den Ansatz vertreten und verfolgt, die Stadt in Gebiete zu unterteilen, die vorwiegend dem Wohnen dienen, andere Gebiete, die vorwiegend dem Gewerbe und der Ausübung von Arbeitstätigkeit dienen und weitere Gebiete, die dem Einkaufen dienen. Für die notwendigen Erledigungen und Einkäufe des täglichen Bedarfs hat man Supermärkte geschaffen, die in der Vergangenheit die Tendenz gehabt haben, immer größere Flächen in Anspruch zu nehmen und mit entsprechenden Parkräumen ausgestattet zu werden. All diese unterschiedlichen Gebiete, in denen sich Menschen zu den vorgenannten Zwecken zu unterschiedlichen Zeitpunkten täglich aufhalten, sind durch Straßeninfrastruktur miteinander verbunden und es entsprach dem bereits vor vielen Jahrzehnten begründeten Zeitgeist, dass Menschen diese verschiedenen Gebiete insbesondere durch Nutzung des motorisierten Individualverkehrs erreichen.

Diese Form der Stadtplanung ist inzwischen veraltet. Aber sie dominiert gleichwohl noch das Stadtbild vieler Städte und Kassel gehört dazu.

Für die Kasseler Innenstadt zeigt sich bereits seit Jahren eine Tendenz des zunehmenden Leerstandes von Geschäften. Die in den vergangenen Jahrzehnten von Ladenketten dominierten Innenstädte verlieren zunehmend dieses Gesicht, weil sich das Konsument*innenverhalten geändert hat. Onlinehandel macht den Gewerbetreibenden in der Innenstadt zu schaffen. Hier müssen wir dringend einen anderen Ansatz verwirklichen, um der Verödung der Innenstadt entgegenzuwirken. Die durch verändertes Konsumverhalten hervorgerufenen Lücken in der Belegung von Ladengeschäften sind sinnvollerweise durch anderweitige Nutzung zu schließen. Hierzu gehört auch in der Innenstadt wieder eine zunehmende Nutzung durch Wohnraum, aber auch eine zunehmende Nutzung durch kulturelle Einrichtungen wie z.B. einer Stadtbibliothek oder auch eines City-Jugendzentrums. Der Ideenvielfalt ist hierbei keine Grenze gesetzt. Und dies geht auch konform mit den Interessen der Gewerbetreibenden, denen nichts gelegener kommt, als Menschen in der Stadt.

Was im Großen für die Innenstadt gilt, gilt selbstverständlich im Kleinen auch für die Stadtteile. Es ist ein nicht zu unterschätzender Wert einer lebendigen Stadtteilkultur, wenn Menschen in ihrem Ortskern zusammenkommen und sich begegnen. Beim Einkauf, in der Buchhandlung, vielleicht sogar auf einem Markt oder auch nur auf attraktiven Flächen, die für den Aufenthalt geschaffen wurden. Letzteres gilt sowohl für Aufenthalt im Freien, als auch in geschlossenen Räumen. Bei weitem nicht alle Stadtteile verfügen beispielsweise über Treffpunkte für Jugendliche oder aber auch für Senior*innen. 

Vielfalt ist das Stichwort, das wir zu gewährleisten haben bei der Entwicklung unserer Ortskerne. Monokulturen einzelner Nutzungen sollten einen Ortskern nicht dominieren. Kassel hat viele Stadtteile, die eine dörfliche Struktur aufweisen. Darin liegt eine hohe Attraktivität, die es gilt, durch geeignete städtebauliche Maßnahmen auch wieder aufleben zu lassen. Unser Ziel muss eine Stadt der kurzen Wege sein, in der sich die notwendigen Erledigungen des täglichen Lebens auf dem Fußweg von der Haustür aus bequem und für jedermann erledigen lassen.

Diese Zielerreichung hängt sehr stark auch mit der Organisation des Verkehrs zusammen. Hierbei müssen wir unseren Fokus auf eine deutliche Verbesserung der Infrastruktur für die umweltfreundlichen Verkehrsmittel legen. Aufenthaltsqualität an Straßen, in denen in erheblichem Umfang motorisierter Verkehr stattfindet, ist kaum zu gewährleisten. Viele Autos machen den Aufenthalt an Straßen in aller Regel unwirtlich. Und Parkverkehr nimmt Flächen in Anspruch, die wir für den notwendigen Ausbau der Infrastruktur umweltfreundlicher Verkehrsmittel und zur Gewährleistung von Aufenthaltsflächen dringend benötigen. 

All diese Maßnahmen sind natürlich mit Augenmaß vorzunehmen. Es gilt, das in einer Großstadt wie Kassel der Verkehr in seiner Gesamtheit für alle Verkehrsarten funktionieren muss. Dies wird er aber auch dann, wenn wir mit deutlicher Konsequenz ein Umdenken in der Organisation unseres Verkehrs in Richtung deutlicher Verbesserungen für den umweltfreundlichen Verkehr umsetzen.

Bei allem was wir für die Entwicklung der Stadtteile tun, werden wir selbstverständlich sämtliche Menschen, die dort leben, mit einbeziehen. Dies geschieht über die formellen Wege der Ortsbeiräte aber natürlich auch in der Kooperation mit ortsansässigen Vereinen und Initiativen. Wir sollten allerdings auch soviel Realismus besitzen, um zu erkennen, dass nicht sämtliche Menschen, die in unseren Stadtteilen leben, sich in Vereinen oder Initiativen engagieren bzw. sich für Ortsbeiratstermine und -tagesordnungen interessieren. Gerade deshalb sollten wir auch nach zeitgemäßen Wegen suchen, auch diese Menschen noch mehr in die Entscheidungen vor Ort einzubinden. Insofern würde ich gerne insbesondere das Projekt einer Kassel-App vorantreiben, mit der jedenfalls der ganz ganz große Teile der Bevölkerung, der Smartphones benutzt, über Vorhaben vor Ort durch entsprechende Benachrichtigungen mit angemessenem zeitlichen Vorlauf informiert wird und Gelegenheit bekommt, sich einzubringen.

Für die Finanzierung unserer Stadtteilentwicklung gilt das, was für alle Finanzierungen im öffentlichen Bereich gilt. Einen Teil werden wir möglicherweise über Fördermöglichkeiten von Land und Bund einwerben können und einen anderen Teil werden wir als Kommune selbst zu tragen haben. Das Geld ist in diesem Fall aber gut investiert.

 

Abschließend noch ein Wort zu unserem Heimatstadtteil Kirchditmold:

Ich wünsche mir, dass wir eine Lösung für den Ortskern finden. Diejenigen die mich kennen, wissen dass ich mich seit langer Zeit für einen Ortskern im Sinne der oben genannten Ideale einsetze. Ich bin nach wie vor fest der Überzeugung, dass wir den Ortskern von Kirchditmold zu einer Stadtteilfußgängerzone machen können, die wir weitgehend (mit Ausnahme von Anlieger und -lieferverkehr) vom motorisierten Individualverkehr freihalten können. Wir haben in Kirchditmold hierfür hervorragende Bedingungen und sollten diese perspektivisch nutzen. 

Ich möchte mich von dem schönen Gedanken, Euch alle irgendwann an einem sonnigen Samstagvormittag in Kirchditmold in der Fußgängerzone auf dem Markt zu treffen, noch lange nicht verabschieden.

Herzliche Grüße

Sven Schoeller

 

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Dr. Sven Schoeller
Stadtverordneter
Fraktion B90/Die Grünen im Kasseler Rathaus
Sprecher für Recht